Indien zum Zweiten

Eine leidenschaftliche Hassliebe hat sich zwischen uns und diesem Land entwickelt.
Immer mal wieder kommen wir unseren persönlichen Grenzen gefährlich nahe.
Hier mal ein Abriss unserer Erlebnisse.

Udaipur
Ein toller Zufall beschert uns der erste Abend in Udaipur. Wir sind durchgefahren und voller Enthusiasmus geben wir uns der Illusion hin, die nächsten 15 km bis in die Stadt seien ja nun sicherlich einfach zu meistern. Falsch. Es endet damit, dass wir hupend im Dunkeln durch die engsten Gässlein Udaipurs um Kühe und Rikshas zirkeln und unsere Entscheidung verfluchen. Völlig ausgelaugt und am Ende unserer Geduld, stellen wir RoKi auf den viel zu exponierten Platz nahe einer Aussichtsplattform und kochen die ersehnten Spaghetti, während die Inder uns unhöflich Nahe kommen und uns hemmunglos beglotzen. Schon fast wollen wir unserem Unmut Luft machen, da kommt ein Herr mit ganz anderen Manieren daher und bittet uns in höflichstem, wohlformuliertem Englisch, seine Mobilnummer anzunehmen. Er sei ein leidenschaftlicher Töffahrer und sehr interessiert an unserer Art des Reisens. Soweitsogut.
Weil der Herr uns so sympathisch war, beschliessen wir am nächsten Tag, ihn mal auf einen Schwatz zu treffen. Die SMS mit dem Text „I want you to be my guest at the Taj Lake Palace“ klingt verheissungsvoll und wir sind gespannt, was nun folgt.
Unglaublich, aber wahr… Der gute Herr ist tatsächlich der Manager des Taj Lake Palace (bekannt aus James Bonds „Octopussy“) und lädt uns zum Tee im luxuriösen, überwältigenden Inselpalast ein. Wir verbringen volle 2 Stunden mit Ameeya und seinem Kollegen und Küchenchef Dilipp. Super spannende Diskussionen, die weit über das übliche “ wer, woher, wohin etc.“ hinaus gehen und erhalten sogar ein indisches Kochbuch als Geschenk! Einfach unbezahlbar!

Abends finden wir in der „Krishna Ranch“, etwas ausserhalb der Stadt, einen herrlichen Schlafplatz neben einer Pferdescheune. Von 30 auf 0 hpm (honks per minute) in nur 7 km. Rekordverdächtig. Dort treffen wir auch noch auf die CH-Familie Hudson, einigen vielleicht bekannt vom Swisstravel-Festival. Nach einem gemütlichen Abend bei Ranch-Dinner, Schwiizerdütsch und Grillengezirpe haben wir so das Gefühl, dass Indien doch gar nicht so übel ist.
Aber eben… Es kann auch anders.

Wieder frohen Mutes auf RoKis Sitzpolstern platziert, geht die Fahrt weiter nach Jaipur.
Der „INDERviduelle“ Strassenverkehr verzaubert jedoch schnellstens die beste Laune in blankes Entsetzen. Was wir erleben, lässt insbesondere mich auf dem Beifahrersitz, tausend Tode sterben. Herabhängende Achsen bei Tempo 80. Kühe, Ochsen, Kälber, Munis, Ziegen und Hunde, die scheinbar alle höchst suizidgefährdet sein müssen, so wie die sichs auf dem Asphalt gemütlich machen. Geisterfahrer auf der Überholspur. Busse mit ohrenbetäubenden Hupis (die aber, wie alle anderen Hupis, einfach ignoriert werden). Einbiegenden Verkehr, ohne Blick in den Spiegel. Mehr Geisterfahrer… (Sind wir auch wirklich auf der richtigen Spur?!) Schlaglöcher. Nein, nicht das was man bei uns Schlaglöcher nennt. Richtige Schlaglöcher.
Das sind nur einige Beispiele. (Wer sich einen Eindruck machen will, der kann sich das hier anschauen. Gibt unsere Erlebnisse ziemlich genau wieder: Landrover Experience Seidenstrasse) Wir planen unsere Fahrten ab jetzt mit doppelter Zeitangabe, die das Navi angibt. Geduld soll ja die Mutter aller Tugenden sein. (Genau, eine Mutter mit Schnauz!)
Ausserdem machen uns die Armut, die wir zu sehen bekommen, sowie der Müll, der hier scheinbar niemanden stört, nachdenklich und traurig. Und manchmal auch richtig wütend. Es geht uns einfach nicht in die Köpfe, wie man so unfassbar schlampig mit Infrastruktur umgehen kann. Wie es einem egal sein kann, dass die kleinen Kinder am Strassenrand von vorbeibrausenden LKWs nur um des Schutzengels Willen nicht überfahren werden. Wie man die achsoheiligen Kühe in den verdammten stinktriefenden Müllbergen futtern lassen kann. Es ist zum heulen und wir kämpfen mit der Verzweiflung, die teilweise sogar schon in Aggression umzuschlagen droht. Wir müssen wohl lernen, mit der Rolle als geduldigen Beobachter klarzukommen. Nicht unsere Stärke.

Jaipur
Aber wie das mit der Hassliebe so ist, sehen wir bald wieder die Sonnenseiten.
Sile und Beni kommen am Flughafen in Jaipur an. Wir platzen vor Freude!!
Die nächsten 5 Tage verbringen wir gemeinsam in der „Pink City“ Jaipur. Sile und Beni schlafen in der Villa Anurag und wir gleich daneben im RoKi. Pink ist übrigens Ansichtssache.
Wir haben Glück, denn gerade als wir da sind, findet das Teej- Festival statt, das den Monsun begrüssen soll. Neben der Parade, sehen wir uns ein paar prächtige Touristen-Attraktionen an und lassen dabei die Zeit zum reden, lachen, essen und trinken nie zu kurz kommen! Sile und Beni sind eine Wohltat und tragen dazu bei, uns dank ihrem Humor und ihrer Unkompliziertheit gleich viel besser zu fühlen. Ein gutes Gespräch mit solch lieben Freunden ist wohl das beste Mittel gegen jegliche Reisefrustration.
Gemeinsam entdecken wir die Küche Rajastans, bestaunen imposante Bauwerke, quetschen uns zu 4. in Rikshaws und proBieren sämtliche Kingfisher durch.
Zu einem der vielen Highlights, in der Zeit zu viert, zählt der Kinobesuch im Raj Mandir.
Allein der Billetkauf ist schon ein Spektakel, denn die ewig langen Schlangen werden von Sicherheitsmännern mit Bambusstecken streng überwacht! Das ist auch nötig, denn die Inder vergessen sich fast vor lauter Aufregung. Als wir am nächsten Abend dann den Kinotempel betreten, überwältigt uns erst mal der Anblick des überdekorierten Interieurs. Erst recht überwältigend: Die Reaktion des Publikums, auf das Geschehen auf der Leinwand! Als der Bollywoodstar erscheint, flippt das Publikum aus, wie bei uns an einem Justin Bieber Konzert! Wir lassen uns mitreissen von der emotionsgeladenen Stimmung und buhen/johlen kräftig mit. Sprache verstehen wird völlig überbewertet.

Bundi
Weiter entdecken wir Bundi, das neben einem schönen Wasserfall auch tausende von Affen beheimatet. Die vielen Rooftop-Restaurants müssen sich mit Bambusgeflechten vor den aufmüpfigen Dieben schützen. Gegen den Gestank der Affensch***** hilft das aber leider nix.  Dafür dürfen wir dort den Luxus eines liebevoll und farbenfroh gestalteten Guesthouses geniessen, auf den wir von den beiden Lieben eingeladen werden. Unvergesslich schön!

Agra
Der Taj Mahal soll den Abschluss unserer gemeinsamen Reise bilden. Wir machen uns also zu viert auf den Weg nach Agra (RoKi ist in Indien nämlich für 6 Personen zugelassen. Zumindest interpretieren wir das so, wenn wir uns die anderen Verkehrsteilnehmer anschauen). Nach 10 h Fahrt im heissen, stickigen Verkehr erreichen wir die geschäftige Stadt… Im Dunkeln. Das soll uns nun aber wirklich nicht mehr passieren!
Der Taj wird am nächsten Tag dann ausgiebig von uns begutachtet uns fotografiert, während wir wiederum von den indischen Touristen begutachtet und fotografiert werden. In weiser Voraussicht, dass es kein Ende nehmen würde, lehnen wir schon bei den ersten Anfragen für „picture!?“ ab. In Mumbai haben wir gelernt, das so ziemlich rasch eine Kettenreaktion ausgelöst wird. Wir verstehen bis jetzt immer noch nicht ganz, was die Damen und Herren dann mit den Fotos von und mit uns wollen. So schön sind wir ja nun auch wieder nicht…
Der Taj Mahal hingegen ist es. Wirklich sehr, sehr schön!

Schweren Herzens nehmen wir nach 9 Tagen von Sile und Beni Abschied.
Wir freuen uns jetzt schon, euch Daheim wieder um uns zu wissen, ihr seid die Besten.

Varanasi
Ein Monat Indien ist nun aber genug für uns. Wir entschliessen kurzerhand, dass wir Bangladesh von der Reiseliste streichen und direkt ab Kolkata nach Malaysia verschiffen wollen. Auch Nepal fällt weg, weil der Monsun da derart Schaden angerichtet hat, das wir unsere und RoKis Sicherheit nicht den Erdrutschen ausliefern wollen. Wir nehmen die Abkürzung. Also fahren wir innerhalb von 4 Tagen via Varanasi nach Kolkata, Mutter Theresas Stadt. Varanasi ist der Ort am Ganges, wo die Hindus direkt in den Himmel kommen sollen, anstatt sich der mühsamen Wiedergeburt hinzugeben. Das Mekka Indiens. Für uns ist aber das eigentliche Schmuckstück dieser Stadt nicht die Szenerie am Ganges, wo die Hindus ihre Bräuche zelebrieren. Unsere Begeisterung fällt viel mehr auf das, was dort die Lebenden vollbringen. Eine Schweizerin hat hier vor 30 Jahren ein Hilfswerk für körperlich behinderte Kinder aufgebaut. „Kiran“ heisst das Projekt, das den Betroffenen Ausbildung in vielen Bereichen ermöglicht, wie in der Bäckerei, der Werkstatt oder in der Handarbeit. (www.kiranvillage.org)
Wir lassen uns von den aufgestellten gleichaltrigen mit Gehbehinderung erklären, was sie alles lernen und schaffen. Ein schöner Lichtblick zeigt es uns auf, inmitten der erdrückenden Armut. So kaufen wir die liebevollen Handarbeiten doppelt so gern, bei dem guten Zweck dahinter. Schon wieder also gibts ein Päckchen!
Wir parken komfortabel im Hinterhof eines Luxushotels und freunden uns mit der dortigen Wäscherei-Crew an. Der Hotelpool wird exzessiv von uns benutzt. Dort treffen wir dann auf ein Grüppchen Engländer/ Schotten, die sich für den guten RoKi begeistern. Nachdem wir wieder einmal die ganze Reiseroute heruntergebetet haben und die meistgestellten Fragen zu Einrichtung, Komfort und Dieselverbrauch beantwortet sind, stossen auch noch Holländer, Amerikaner, Schweden und weitere hinzu und so wird es ein lustiger, bierseliger Abend mit mit allen möglichen Varianten englischer Akzente.

Kolkata
Ein paar Nächte auf Tankstellen, einige Nahtoderfahrungen im Verkehr und viele viele Highway-Zollstellen später erreichen wir die Metropole der Armut, Kolkata.
Wir habens uns ehrlich gesagt schlimmer vorgestellt und sind positiv überrascht, dass die Stadt uns zeitweilig sauberer als z.B. Mumbai oder Varanasi vorkommt.
Das Verschiffungsprozedere wird nun eine Woche in Anspruch nehmen.

Durch die Abkürzung werden wir dann dafür in Südostasien mehr Zeit zum entdecken haben, so sind neu auch Kamboscha und Laos zu dem geplanten Ländern hinzugekommen (wer Tipps hat, immer her damit!). Von Anfangs September bis Ende November findet ihr uns also in der Region Südostasien, wenn ihr uns sucht.

Beste Grüsse aus dem Land der Farben.
Von den Zwei mit der roten Kiste.
Janine & Adi