Über Kopftuch und Privilegien

Da ich das wunderbare Privileg habe, meine Meinung offen, ohne Angst vor Konsequenzen und so laut ich will kundzutun, werde ich das hier nun mal machen.
Im Vorfeld habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich mit dem Kopftuch klarkommen werde. Man muss nämlich, das sagt das iranische Gesetz, die Haare und den Körper, sprich Arme und Beine in der Öffentlichkeit bedeckt halten. Positiv- wie ich meistens bin- habe ich mir gedacht: „Kein Problem! Kopfbedeckung muss eh sein bei dem Wetter und die Kleidung- Naja, dann brauch ich wenigstens keine Sonnencreme einschmieren zu müssen.“ Ausserdem zeige ich den Iranern so meinen Respekt, gegenüber ihrer Religion. Gut so.
Aber es steckt ja viel mehr dahinter, hinter dieser Bedeckungsgeschichte. Es hat mich die ganzen 16 Tage, die wir im Iran verbracht haben, beschäftigt. Und oft wars bei Frauengesprächen, das Thema Nummer 1.
Erstens mal, konnte ich mich bis zum Schluss nicht daran gewöhnen, dass da was stört. Ständig rutscht es rum, behindert die Sicht, gibt warm und flattert. Ich habe diverse kreative Techniken ausprobiert, um es mir so angenehm wie möglich zu gestalten. Die einzige, wirklich bequeme Art, ist der afrikanisch-anmutende Turban. So fühlt man sich um den Hals rum wenigstens nicht ständig als würde man bald stranguliert. Da ich aber einige Blicke geerntet habe, die ungefähr bei „empört“ eingeordnet werden könnten, habe ich mir diesen Look nur für während der Fahrt im Auto aufgehoben. Auch die Iranerinnen haben oft ihre liebe Müh, wenn Kinder, Wind oder Bewegung, ihr Tuch zerzaust. Ich habe sie alle beobachtet, und auch sie sind ständig damit beschäftigt ,an sich herumzuzupfen. Also keine Frage der Gewohnheit, behaupte ich jetzt mal.
Da der gute Roki ja unser Zuhause ist, aber dieses Zuhause meist in der Öffentlichkeit steht, waren die einzigen Gelegenheiten, mal bequem herumzulaufen folgende:
– zu Besuch bei liberalen Iranern
– beim Schlafen
– in der Wildnis, wenn niemand anders da ist (Achtung, Hirten kommen immer mal wieder vorbei)
Ausserdem habe ich mir immer wieder Sorgen gemacht, ob ich nun auch ausreichend bedeckt bin. Denn es gibt sehr grosse Unterschiede, wie die Bedeckungsvorschriften ausgelegt werden.
In den kleinen Dörfern, wo Frauen auf der Strasse selten entdeckt, dafür öfters hinter einem Vorhang hervorlugend, erspäht werden können, da herrschen die Dschadors vor.
Im ganzen Dorf bin ich also die einzige Frau ohne glänzend schwarzen Umhang über alles drüber, sondern mit türkisblauem, locker übergeworfenem Tuch, Reisehose und Oberteil im Sackdesign, Grösse XXL. Komme mir vor wie ein Papagei unter Rabenvögeln.
Diese Frauen sind so darauf bedacht, dass von ihnen ja nicht zuviel zum Vorschein kommt, dass sie das Tuch sogar mit den Zähnen festhalten, wenn sie mal beide Hände voll haben. Wenn sie auf der Strasse sind, habe ich den Eindruck, dass sie sich unwohl fühlen. Sie schlingen ihre Hände ein in ihr Tuch, gehen mit gesenktem Blick. Wenn ich sie anlächle, kommt ein scheuer, freundlicher Ausdruck zurück.

Ganz anders zum Beispiel in Teheran.
Die jungen, starken und spürbar selbstbewussten Frauen, hüllen sich meist in bunte Farben. Herrlich anzusehen, wie sie ihren Schal zuhinterst auf dem Hinterkopf balancieren, wie sie unter dem „bis zur halben Oberschenkellänge“ reichenden Mantel, knallbunte, enge Hosen und Stöckelschuhe tragen. Die Oberteile reichen bis zum Ellbogen, sind körperbetont geschnitten. Die Frauen sind wunderhübsch anzusehen und stolzieren in den Strassen zur Uni, zum Einkauf, zur Verabredung.
Ich habe bei den Gesprächen oft den Frust der Damen gespürt. Eine davon hat sogar gemeint, sie bete jede Nacht dafür, dass sich dieses Gesetz bald ändern würde. Es sei „altmodisch“, die von den Arabern, zum Schutz vor sexuellen Übergriffen verhängte Verhüllungspflicht weiterzuführen. „Nicht mehr nötig heutzutage.“ „Eine reine Schikane.“ „Ein Symbol der Unterdrückung.“ „Scheissding.“
Dazu ein Beispiel: Am Imam-Square in Esfahan, sind wir mit einer grossen Gruppe unterwegs. Wir spazieren lachend und ausgelassen, als eine der Cousinen sich zu den hinteren umdreht: „Psst!“ zischt sie und zieht sich das Kopftuch tiefer nach vorn ins Gesicht. Alle Ladies tun es ihr nach. Auch ich. Wenige Meter später, ist die Stimmung wie vorher, nur ich bin etwas verwirrt. „Ach, da sei ein Polizist gewesen..“  meinen sie.
Ich finde es krass.
Vorallem an der Türschwelle fällt es so extrem auf. Kaum drin, sind sie alle Frei. Shorts bei den Männern, Tshirts und wallende Haarpracht bei den Frauen. Aber gehts an die Tür, so sieht man genau die Grenze, die dort so klar zwischen Privat und Öffentlich einschneidet.

Es ist wirklich was ganzganz tolles, meine Damen und Herren, wenn man sich anziehen darf, wie man will. Wo man will. Und sei es auch noch so wenig. Oder von mir aus auch viel.
Dass man, ausser ein paar missbilligenden Blicken anderer Ladies, nichts zu befürchten braucht, wenn man den Dresscode nicht ganz getroffen hat.
Ich bewundere die Frauen, die ich getroffen habe sehr. Meine, freiheitsverwöhnte und emanzipierte Wenigkeit, hat sich oft fürchterlich unfair behandelt gefühlt. Aber diese Frauen ertragen die Regeln mit einer Würde und einer Geduld, die ich nie aufbringen könnte. Respekt.
Ich wünsche ihnen von Herzen, dass sie bald die Freiheit bekommen, sich ganz nach ihrem Geschmack kleiden zu können. Ob mit oder ohne Schleier. Ob traditionsbewusst oder modern.
Und ich wünsche ihnen eine Menge Mut, dass sie sich für diese Freiheit stark machen.

Janine

Kopftuch am Steuer

Kopftuch am Steuer